Feminismus und Autonomie statt Plastikleidenschaft
Graugänse überwinden weite Strecken, passen sich der Umgebung an, lassen in der Regel kein Tier allein, wenn es erschöpft/krank ist, sie wechseln die Führung … Schnattern mutmachend, sorgen gut für den Nachwuchs – es gibt Tanten für den Kindergarten mehrerer Mütter … Sie «puffeln», das heisst, sie können bei der Landung im Wasser bei zu viel Geschwindigkeit den Körper bis zum Hals um 180 Grad drehen, um die Geschwindigkeit zu reduzieren. All diese Fähigkeiten waren Inspirationen, sie als innere Begleiterinnen zu ernennen.
Die Mitlesben des Vereins verorten sich als lesbisch, feministisch, autonom und unterstützen politische und kulturelle Ziele aus frauenlesbenparteilicher Haltung und Perspektive. Unser Angebot richtet sich an ältere bis jüngere frauenliebende Frauen, an FrauenLesben, die in der aktuellen bzw. schon länger andauernden Politik heimatlos sind und die ein Interesse daran haben, (wieder) starke lesbisch-feministische Stimmen zu werden, in der das Herz der Frauenliebe schwingt.
Als Graugänse freuen wir uns auf Austausch – auf Spinnen, Weben und Vernetzen vor allem mit anderen lesbischen Feministinnen und ihren Gruppen.

Mit diesem Schwung setzen wir den heutigen «neuen» patriarchal-politischen Entwicklungen Marksteine entgegen und wollen u.a. eigenständige Räume für lesbische Frauen anbieten. Über das Thematisieren ausgewählter (FrauenLesben-)Lebensbereiche setzen wir uns für LesbenFrauenMädchenrechte und ein gewaltfreies Leben als selbstbestimmte Lesben in der Vernetzung in Deutschland, im deutschsprachigen, europäischen und internationalen Raum ein.
Keine Angst vor zu viel Freiheit
Jedes Mädchen, jede Frau, jede Lesbe hat ein Anrecht auf autonome, eigenständige und gewaltfreie Räume im Innen wie im Außen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrer Ethnie, ihrer kulturellen, ihrer spirituellen Einbindung, ihrer Gesundheit, ihrer Behinderung und/oder sexuellen Orientierung – frei von jeglichen Besitz- und Allmachtsansprüchen.
Wir hinterfragen die nur vordergründig fortschrittlichen Konzepte eines «intersektionalen Feminismus» (nach Judith Butler), die mehr Ungleichheit, Diskriminierung und Ausgrenzung untereinander gebracht haben, als FrauenLesben selbstbewusst in Verbindung zu bringen, zu schützen, zu stützen – ihre Kultur(en) und Ressourcen zu fördern und miteinander zu bereichern. Der heutige Backlash betrifft nicht nur LesbenFrauenMädchenrechte. Das autoritäre Auftreten von «Queer» in Wissenschaft bis Politik steht damit auch für einen Backlash, der dazu geführt hat, dass viele Verbesserungen und Selbstverständlichkeiten, die (lesbische) Feministinnen früher und heute oft parteiübergreifend erreicht haben, nicht nur in der europäischen Mainstreamgesellschaft drohen verloren zu gehen. Gewalt gegen Frauen, gegen Lesben (und Schwule) nimmt weltweit zu. Das Muster der staatlich anerkannten «Queerfeindlichkeit» greift als Analyseinstrument hierbei viel zu kurz und bietet Rechtspopulisten zudem einfache Einfallstore für faschistisches Machtstreben.

Das beginnt bei der Vereinnahmung von Begriffen, von Konzepten, von Räumen, deren Umdefinierungen, und geht, wie wir es aus der Geschichte zur Genüge kennen, weiter mit verbaler, psychischer bis hin zu körperlicher Gewalt, um lesbische Feministinnen zum Schweigen zu bringen, was grundlegend feministischen Werten widerspricht. Ebenso ist es unverständlich, fantasie- und in gewissem Sinn verantwortungslos, in der heutigen Vielfalt und ihren Freiheiten, anstatt Neues und Visionen zu entwickeln, zu altbewährten Mustern von Machtmissbrauch, Gewalt und Unterdrückung zurückzukehren.
Im Gegensatz zum intersektionalen/queeren Feminismus nach Butler konnten andere feministische Ausrichtungen bei allen Unterschieden doch miteinander ins wertschätzende Gespräch gehen oder sich zumindest «sein» lassen – sowohl in der Theorie als auch im konkreten Umgang miteinander. Differenzfeminismus, Gleichheitsfeminismus, Radikalfeminismus, Ökofeminismus seien hier genannt. Besonders die unabhängigen radikalen Feministinnen gelten nun als Ausbund des Bösen schlechthin und bekommen der Einfachheit halber u.a. das Faschismusetikett – obwohl sowohl Entkörperlichung, Antisemitismus und Scharia-Freundlichkeit wesentliche Grundlagen der Schriften und Äußerungen von Butler sind.
Im Sinn von spiraligem Denken und Fühlen lebt die Gruppe der Graugänse ihr eigenständiges Standing mit Mut zur Freiheit, sich autonom zu definieren und frauenlesbenparteilichen Feminismus zu leben, einander auch in Widersprüchen zu hören und zu begegnen.
In unserer politischen Haltung lehnen wir Antisemitismus, Rechtspopulismus, Faschismus in all seinen Formen, Sexismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Antiziganismus und andere Formen von Diskriminierung ausdrücklich ab.
Von Autonomie bis (Frauen-)Körper
Wichtig ist uns, dass wir in unserer Haltung parteilich sind, denken, fühlen, erleben und handeln, das heisst für und nicht gegen sind – auch beim Setzen sichtbarer Grenzen.
Ebenso verwenden wir politische, soziologische, biologische, medizinische, kulturelle, therapeutische und auch spirituelle Forschungen und Forderungen in ihrem ursprünglichen Sinn von Frauenweisheit, -stärke und für Frauen- und Lesbenbefreiung weltweit.
Überschreitet es nicht wissenschaftliche bis politische Seriosität, mit welchen Plattitüden und Beschimpfungen in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum das Geschlecht Frau als gesellschaftliche Klasse und biologische Realität versucht wird aufzulösen? «Frau» ist keine Randbemerkung einer dekonstruierten, quasi neoreligiösen Befreiung. Aus dem Heute, mit dem entfesselten Kapitalismus, mit den Klimakatastrophen, mit einem erstarkten Rechtspopulismus und mit zahlreichen Kriegen sowie patriarchatsbedingten Spaltungen innerhalb der verschiedenen Communitys, selbst in FrauenLesbenzusammenhängen, fragen wir nach der Absicht einer lediglich auf individuelle Selbstverwirklichung gerichteten «Fortschrittsgläubigkeit». Trägt diese nicht ein Gutteil zum Erhalt und zur Verstärkung reaktionärer Männerherrschaft bei? Sind zahlreiche queerfeministische Theoretikerinnen, Politikerinnen wie Aktivistinnen womöglich dogmatisch-systemstärkende Mit-Täterinnen (im Sinne der Mittäterschaftsthese von Christina Thürmer-Rohr), um gutgläubig das Alte in neuen Schläuchen aufzuwärmen und den weltweiten Backlash von Frauen-, Lesben- als auch Schwulenrechten sogar zu befeuern? Wie erfrischend präzise hingegen ist z.B. die Analyse der «Plastikleidenschaften» (wie Erika Wisselink sie treffend in der Übersetzung von Mary Daly benannte), um diesen Winkelzügen nicht immer wieder aufzusitzen. Derzeit wird mitunter auch das Leben und Werk von Audre Lorde, Adrienne Rich oder Monique Wittig bis zur Unkenntlichkeit in ihrem Zorn, ihrer Parteilichkeit und nicht zuletzt ihrer Liebe zu und mit Frauen dekonstruiert und verzerrt. Wenn dann die fünffache Mutter und Kriegerin Jeanne d’Arc non-binär gewesen sein soll, bleibt nichts als ein müdes Lächeln. Cui bono?
Wir stehen für das ein, was wir für uns aus parteilicher FrauenLesbensicht als wichtig und richtig erachten – und grenzen demnach unsere Zielgruppe ein – wir ziehen ein selbstbestimmtes, gelebtes feministisches Standing einem «queerem» Allerlei und der Angst vor zu viel Freiheit für die Hälfte der Menschheit vor.
Wir gehen von Geschlechter- und Körperunterschieden, Raum-, Macht- und Ungleichheitsverhältnissen aus, die für «das Subjekt Frau» Auswirkungen auf ihr Welt-er-Leben haben. Wir blicken von den Ressourcen, den Quellen von tiefer Verbundenheit aller Frauen über die individuellen und kollektiven Verwundungen, die generationsübergreifenden Traumen als Töchter, als Mütter, als eigenständige Frauen hinaus. Gerade auch als Lesben haben wir ein Bewusstsein für die Verschiedenheiten kultureller, ethnischer wie geografischer Hintergründe.

Wir fragen also danach: Was ist Frauenliebe? Welche Kräfte setzt sie frei, welchen Schwung kann sie haben, wenn wir von unseren Stärken ausgehen und nicht von unseren Defiziten, wie es im Denken eines sogenannt männlichen Prinzips von oben nach unten impliziert wird? Frauenliebe fängt zunächst bei sich selbst an und verbindet mit anderen Frauen – zunächst unabhängig von der sexuellen Orientierung – als junge, mittlere, ältere und alte Frauen in ihrer Eigenständigkeit, ihren Nöten, ihrem Mut, ihrer Verletzlichkeit, ihren Kräften, ihren Verbindungen im Kleinen wie im Großen, im Innen wie im Außen. Audre Lorde nannte diese Quellen, die Nahrung und Ressourcen die «Macht der Erotik». Ute Schiran beschrieb Spüren, Wahrnehmen und Handeln als Methode des «All EIN Seins».
Und der Körper ist immer dabei. Er lässt sich nicht durch beliebige Identitätslabel umdefinieren oder – biblisch gesprochen aus Adams Rippe zur Eva modelliert – neu gebären. Wir verstehen jedes Mädchen, jede Jugendliche, die aus den «neu»-engen rosa-hellblauen Rollenzuschreibungen von «Weiblichkeit» und «Männlichkeit» ausbrechen möchte. Fast alle von uns kennen diese Kämpfe um Identität, als junge Frauen um Körperlichkeit, als junge oder späte Lesben – sei es im Sport, in der Familie, im manndominierten Alltag in Beruf und Freizeit – oder die Schrecken von Menstruation bis Schwangerschaft, die Sexualisierung unserer Brüste.
Wir kennen die Wut, die Angst und das Sehnen nach selbstbestimmtem FreiRaum. Gerade aus diesen (unseren) vielfältigen Geschichten und der Kenntnis zahlreicher Studien als auch praktischen Projekten für FrauenLesbenMädchen der zweiten Frauen- und Lesbenbewegung sind wir überzeugt, dass aktuell «fortschrittliche» Identitätsangebote oft lediglich kurzfristig-individuell psychische Entlastung bringen können, diese aber Frauen als gesellschaftliche Klasse weiter spalten und unterdrücken. Die lebenslangen Folgen allein «affirmativer» bestätigender Ansätze zu «trans» und «non-binär» nützen v.a. der Pharma- und Medizinindustrie – ein Leben lang.
Welche Heilungs- und WiderstandsRäume könnten sich stattdessen für Kinder- und Jugendliche, Mädchen wie Jungen in einer medienüberfluteten Plastikwelt anbieten, die sich nicht dem entfesselten Kapitalismus folgsam und autoritätsgläubig anbiedert.
Aus diesen hier nur kurz skizzierten Ebenen ergeben sich für unsere Haltung und unser Handeln als Gruppe weitere Forderungen an Vertreterinnen und Vertreter von Parteien, Bildungs- und KulturträgerInnen und NGOs des demokratischen Spektrums, beispielsweise die Einführung des schwedischen/nordischen Modells zum Thema Prostitution, strikte Ablehnung von Leih-/Kaufmutterschaft, die Abschaffung des §218 und die Anerkennung von Kindern lesbischer Paare ohne Adoptionsverfahren für die Partnerin.
Unsere Kultur
Die Gruppe der Graugänse möchte sich nach innen wie außen offen, unverstellt und achtsam begegnen. Jede Frau ist wichtig, jeder Beitrag hat seine Bedeutung. Wir verstehen demnach unser Miteinander als stärkend, einander fordernd und fördernd – das konstruktive Entwickeln von gemeinsamen Visionen steht im Zentrum, um zur Wahrnehmung von lauten und leisen lesbisch-feministischen Stimmen beizutragen.
Wir schöpfen Kraft und Energie aus unseren Ideen, unseren Diskussionen und unserer Zusammenarbeit. Wir legen Wert auf vertrauensvollen Austausch, ausgewogene Auseinandersetzung und gegenseitige Unterstützung, Humor und Neugier.
Wenn wir Frauen uns absondern (uns zurückziehen, umgruppieren, transzendieren, ausbrechen, beiseiteschieben, aus dem Rahmen treten, vagabundieren, nein sagen), so übernehmen wir gleichzeitig die Kontrolle über den Zugang und über das Definieren. Wir widersetzen uns also zweifach, da beides den Frauen nicht erlaubt ist. Und beides, Zugangskontrolle und Definitionsmacht sind grundlegende Ingredienzen in der Alchemie der Macht, also sind wir in zweifacher Hinsicht radikal aufständisch.
Marilyn Frye (Reflexionen über Separatismus und Macht, 1983)
Wir erfinden das Rad nicht neu, das haben unsere Vorkämpferinnen bereits getan, und wir jetzigen lesbischen Feministinnen sind unterwegs: Still rising.
